Wie gefährlich sind Wellness-Influencer?

Aus der Rubrik: "Immer wieder Influencer und ne Guckempfehlung":

Neulich gönnte ich mir mein jährliches Monatsabo beim Netflix, weil ich unbedingt die zweite Staffel Kaulitz&Kaulitz gucken musste. 
Weil noch einige Tage im Monat übrig blieben, habe ich mich durch Mini-Serien geschaut. Es ist ja superärgerlich, wenn man eine lange Serie beginnt und dann endet das Netflix-Abo. 

So bin ich zu Apple-Cider-Vinegar gekommen. Eine australische Miniserie über die vermutlich erste richtig erfolgreiche Welness-Influencerin. Es geht um Belle Gibson. 
Falls du die Serie nicht kennst: eine klare Empfehlung. Sie zeigt in schonungsloser Klarheit, was an Instagram, speziell im Wellness-Bereich, gefährlich und verlogen sein kann.

Alle, was an der Kickibunti-Insatagramwelt dumm und eklig ist, das findest du in dieser Serie. 

Belle Gibson: Die „erste Influencerin“

Die australische Bloggerin und Instagram-Pionierin Belle Gibson, nicht zu verwechseln mit dem in anderen Bereichen schlimmen Australier und Hollywood-Star Mel Gibson. 

Belle baute ihre Reichweite Ende der 2010er auf, indem sie auf einem Blog und Instagram behauptete, sie habe einen bösartigen Hirntumor im Endstadium. Ihre „Heilung“ habe sie allein durch Clean Eating, Fruchtsäfte, Kaffeeeinläufe und sonstige alternative Methoden erreicht.

Die Serie ist eng an realen Recherchen des Journalistenduos Nick Toscano und Beau Donelly orientiert, die ihre Geschichte in dem Buch: „The Woman Who Fooled The World“ veröffentlichten. 

In schweren Zeiten wünschen sich Menschen leichte und einfache Antworten. Menschen, die aufgrund schwerer Krankheiten nach jedem Strohhalm greifen und an die Versprechen von wenigstens ahnungslosen, meist geschäftstüchtigen und hin und wieder auch kriminellen Influencern glauben. Oder unbedingt glauben wollen. Schwerkranke Menschen, die sich auf eigene Faust so durchinformiert haben, dass sie selbst beratend tätig sein könnten. Vielleicht von Medizinern, wie in der Serie berührend dargestellt, nicht ernst genommen oder emphatisch genug begleitet gefühlt haben. 

Hier schlägt die dunkle Stunde von unseriösen Wellfluencern. 
Wellness ist ein Kofferwort aus Wellbeing und Fitness und wurde 1959 von dem Sozialmediziner Halbert L. Dunn entworfen. 

Es ging um das Beseitigen von Krankheiten bei gleichzeitiger Steigerung des Wohlbefindens. Heute findet sich unter dem Oberbegriff Wellness ein Sammelsurium aus Achtsamkeitstrainings über Hotels mit Champagnerfrühstück in kuscheligen Frottier-Bademänteln bis zu - Taddaa: von Wellfluencern angebotenen Nahrungsergänzungsmittelchen, esoterischem Schnickschnack bis zu Schaumbädern. Gerne und häufig als Mulltilevel Marketing. Der Begriff Wellness ist rechtlich nicht geschützt. 

Wellness baut auf Eigenverantwortung und beinhaltet Stressmanagement, gesunde Ernährung, körperliche Fitness und zielt auf eine Harmonisierung und Einklang von Körper. Geist und Seele.


Die Vermarktung von Hoffnung

Belle Gibson nutzte nicht nur ihre erlogene Geschichte als Verkaufsargument, sie schrieb ein Kochbuch, veröffentlicht im Penguin-Verlag, sowie eine App, die es bis nach Kalifornien zu Apple in den Apple-App-Store inkl. Apple Watch-Integration schaffte. Die Cosmopolitan, die Elle. Niemand hinterfragte die gefährlichen Heilversprechen und die haarsträubenden Lügenmärchen. 

Belle Gibson, eine erfolgreiche Unternehmerin auf der Suche nach Anerkennung.

So wie Belle in der Serie dargestellt wurde, kam sie mir nicht bösartig und berechnend vor, sondern eher verloren. Sie hat schon früh behauptet, dass sie, als sie verlassen wurde, einen Herzinfarkt hatte, ins Krankenhaus musste und notoperiert wurde. Immer wenn man ihr drohte, auf die Schliche zu kommen, wurden bei ihr neue Krebserkrankungen festgestellt. Oder Besser: Gab sie erneute Erkrankungen bekannt. 
Verlässliche Quellen wie Arztbriefe konnte sie selbstverständlich nie vorlegen. Ehemalige Mitschüler können sich an sehr fantasievolle Geschichten von Belle erinnern und daran, dass es wohl kaum möglich war, dass sie jemals die Wahrheit sagt. 
Mein erster Impuls dazu war, dass sie eventuell unter einer Form des Münchhausensyndroms leiden könnte. 


Ein kurzer Ausflug in psychologische Begriffe

Münchhausen-Syndrom: Eine psychische Störung, bei der Betroffene absichtlich Krankheiten vortäuschen, um Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erhalten.

Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom (by Proxy): Hier täuscht jemand, meist ein Elternteil und meist die Mutter, die Krankheit einer anderen Person vor, oft eines Kindes. Berühmtheit dürfte diese Form wahrscheinlich durch Dee Dee Blanchard erlangt haben, die jahrelang behauptete, ihre Tochter Gypsy Rose sei an Leukämie erkrankt. 2015 wurde Dee Dee durch einen Bekanntenvon Gypsy Rose ermordet. Gypsy wurde wegen Beihilfe verurteilt

Münchhausen-by-Internet: Im Jahr 2000 von dem US-Psychiater Marc Feldman benannt. MBI beschreibt, wie Menschen online Krankheiten vortäuschen, um sich in Communitys oder Blogs zu profilieren. Es geht um Aufmerksamkeit und Mitleid. Die Währung des Internets. 

Die eignen Krankheiten öffentlich zu machen, sei es, um aufzuklären, die eigenen Relevanz zu steigern oder um Geld damit zu verdienen. Nach dem Motto: Wenn es mir geholfen hat, dann schaffst du das auch … Ist ein sehr gängiges Geschäftsmodell geworden. 

Das perfide Geschäft: Nähe, Vertrauen, Verkauf

Die Nebenhandlungen

Parallel zeigt die Serie eine junge Frau, vermutlich an die Redakteurin und Wellness-Unternehmerin Jessica Ainscough angelehnt, die an Krebs erkrankte und die der pseudomedizinischen Gerson-Methode folgte: intensiver Kaffee-Einläufe und Fruchtsäfte zur Krebsheilung, inklusive einer Reise nach Mexiko. Als ihr Krebs zurückkehrte und ihre Mutter auch erkrankte, implizierte die Geschäftsführerin des Ressorts in Mexiko durch die bösartig wie perfide Frage, ob denn alles ganz genau nach den Anweisungen durchgeführt wurde eine Mitschuld, weil selbst mini Abweichungen den Heilerfolg negativ beeinträchtigen. Selbstverständlich. Auch das gehört zum esoterischen Geschäftsmodell dazu: Klappt es nicht, hast du dich nur nicht genug angestrengt oder die Regeln nicht haarklein befolgt. Jessica Ainscough setzte voll auf die esoterischen alternativ Methoden und starb 2015. An Krebs. 


Eine weitere beklemmend wie prägnante Szene: Im Dschungel in Peru bei einer Ayahuasca-Zeremonie, an der die Frau eines in der Serie dargestellten Journalisten teilnimmt. Sie leidet an Krebs. Durch verschiedene belastende Erfahrungen setzt sie nun auch voll auf alternative Heilmethoden. Ihr wird im Dschungel von einer der spirituellen Führerinnen so viel Freundlichkeit und Wärme entgegengebracht und auf die Frage, ob sie nicht noch in die Verlängerungswoche gehen möchte, dachte sie ganz offensichtlich, dass es ein fürsorgliches Geschenk sei. Weil auch im Dschungel von Peru mit Love-Bombing und giftiger Positivität gearbeitet wird. Keine Überraschung, dass ihr sofort nach Zusage ein Kreditkartenterminal unter die Nase gehalten wird. Perfekt dargestellt, weil so diese Branche funktioniert. Verständnis, Liebe, Intimität, Vertrauen. Verkaufen. 

Parallelen zur heutigen Wellness-Welt in social media 

Es werden immer mehr. Sie tauchen aus allen Ecken der sozialen Medien auf. Health Coaches, Heiler, Berater. Viele mit mehr als fragwürdigen Aussagen bis hin zu unhaltbaren und zurecht verbotenen Heilversprechen. Influencer und Content-Creator mit sehr wenig Ahnung, aber sehr viel Selbstbewusstsein. Kürzlich machte nun auch noch Heidi Klum Schlagzeilen mit einer Kur gegen Parasiten in Darm. Der Darm, der neue „heiße Scheiß“ neben Schilddrüsenerkrankungen. Enorme Reichweite und fragwürdige Logik. Versteckte Abos, MLM und das Versprechen schneller Heilerfolge. Solche Inhalte verbreiten sich rasant. Hinter manch einem veganen Account verbergen sich wieder die Belle Gibsons von heute. Krebs heilen mit gesunder Ernährung. Raw, clean, heilend. 

Bin ich nicht auch Bestandteil einer Gesundheitsszene? 

Ich stehe mittendrin als Heilpraktikerin für Psychotherapie. In meiner Praxis in Hamburg arbeite ich mit Hypnose. In diesem Bereich lauert leicht der Esoterik-Vorwurf. Besonders dann, wenn von „Kollegen“zu viele Heilversprechen gegeben werden. Eine Freundin schickt mir hin und wieder bei Instagram Storys von Creatorinnen, die Hypnose als die eierlegendewollmilchsau- Methode anpreisen. Immer mit der Frage: Stimmt das wirklich? 

Natürlich nicht. Hypnose ist keine Magie und keine Hexerei. 
Das behaupten meist die, die mit ThetaHealing arbeiten. Edzard Ernst hat das ThetaHealing als „kriminell und durch keinerlei Beweise gestützt“ bezeichnet. 

Kürzlich las ich in einem Forum über eine spezielle Hypnose-Technik. Die „Erfinderin“ dieser, sagen wir mal sehr speziellen Methodik, gibt an, sich auf die Behandlung von Entführungsopfern von Außerirdischen“ spezialisiert zu haben. Ein gruseliges Beispiel dafür, wie absurd es werden kann. 

Also wieder einmal: Pass auf dich auf und glaube nicht jedem Influencer-Versprechen. Denn oft ist es nicht nur dumm, … es kann gefährlich sein. Und kann neben Geld auch das Leben kosten.


Susanna Pursche Hypnose in Hamburg